LIV Golf Invitational Series: Über Tradition, Geld und die großen Gewissensfragen
Der Konflikt zwischen der neuen LIV Golf Invitational Series auf der einen und den etablierten PGA und DP World Tour auf der anderen Seite beschäftigt den Golfsport seit Monaten. Das Ganze treibt immer buntere Stilblüten und jetzt gibt es erste Sanktionen. Zeit für eine Bestandsaufnahme und Standortbestimmung, doch die fällt gar nicht so leicht.
Wir müssen reden. Lange genug sind wir dem unangenehmen Thema „LIV Golf Invitational Series“ aus dem Weg gegangen, doch langsam ist es an der Zeit, zumindest einige Gedanken loszuwerden und eine grobe Standortbestimmung vorzunehmen. „Unangenehm“ nennen wir die neue Turnierreihe nicht, weil wir etwas gegen ein wenig Konkurrenz zu den Platzhirschen PGA Tour und DP World Tour hätten. Vielmehr sind wir der Ansicht, Golf sollte allen Beteiligten Spaß machen und weder durch juristische Winkelzüge dominiert, noch von Diskussionen über unzureichende Menschenrechtslagen beeinträchtigt werden.
Doch so langsam müssen auch wir uns der Thematik stellen und uns als Golf-Magazin entscheiden, ob und wie wir die LIV berücksichtigen wollen. Die DP World Tour (ehemalige European Tour) hat jetzt Sanktionen über 100.000 Britische Pfund für alle Spieler verhängt, die beim ersten LIV Event teilgenommen hatten, das vom 09. bis 11. Juni im Centurion Club in London über die Bühne gegangen ist. Unter ihnen befindet sich auch Martin Kaymer. Er gab zuletzt eine nicht ganz glückliche Figur ab oder sagen wir lieber: Er wirkte unsicher zwischen den juristischen Mahlwerken der großen Golfverbände. Dass er sowohl die Porsche European Open auf dem Green Eagle Nordcourse als auch die U.S. Open verletzungsbedingt absagen musste, dazwischen aber im Centurion Club bei der LIV aufteen konnte, kann natürlich auch eine Ansammlung von Zufällen gewesen sein – wir wollen hier nichts unterstellen und maßen uns kein Urteil an.
Kaymer beschreibt familiäre, sportliche und finanzielle Überlegungen
Nur zur Erinnerung: Bei der Porsche European Open 2022 wollte die DP World Tour mit einem enorm starken Aufgebot ein Zeichen in Richtung Saudi Arabien setzen. Turnierdirektor Dirk Glittenberg drückte dies auf der Pressekonferenz recht unverhohlen, wenn auch nicht explizit aus, als er von neuer Konkurrenz sprach, die mittlerweile auf dem Markt bestehe. Und dass die U.S. Open eines der wichtigsten Golfevents der Welt sind, muss ohnehin niemandem erklärt werden.
Sei es wie es sei: Erfreulicherweise hat Kaymer am vergangenen Wochenende bei dem zweiten DP World Turnier auf deutschen Boden teilgenommen: Den BMW International Open in München Eichenried. Mit dem möglichen Turniersieg hatte er nichts zu tun und die jetzt beschlossene Geldstrafe dürfte seine Stimmung definitiv getrübt haben. Doch im Anschluss an das Turnier gab Kaymer dem Sport-Informationsdienst (SID) ein bemerkenswertes Interview, in dem er verschiedene Aspekte der LIV-Thematik ansprach, die vielleicht auch die Komplexität der ganzen Angelegenheit ein Stück weit verdeutlichen.
Zum einen habe der ehemalige U.S. Open und The Players Championship Sieger seine PGA Membership freiwillig abgegeben, weil er die Voraussetzung, 15 Turniere im Jahr zu spielen, nicht mehr werde erfüllen können. Dies mag möglicherweise mit familiären Entwicklungen zu tun haben – wie wir wissen, ist der Mettmanner vor kurzem erstmals Vater geworden. Seine Aussage „Ich sehe uns nicht mehr zwölf Monate im Jahr in den USA leben“, lässt sich dahingehend interpretieren, dass sich der Lebensmittelpunkt der Familie Kaymer verschieben könnte.
Klar, wenn es um Zeitmanagement geht, ist die LIV Golf Invitational Series natürlich eine attraktive Alternative. Nach dem Eröffnungsevent im Centurion Golf Club stehen 2022 noch sieben weitere Events auf dem Plan. Dabei geht es lediglich fünfmal in die USA und einmal davon wird es sogar politisch: Neben Portland (Oregon), Boston, Miami und Chicago geht es Ende Juli nämlich in den Bundesstaat New Jersey, genauer gesagt in den Trump National Golf Club Bedminster. Trump, da war doch was? Richtig, die PGA Tour hat sich nach dem Sturm auf das Kapitol in Washington D.C. von dem demokratisch abgewählten Ex-US-Präsidenten Donald Trump und dessen Golfclubs distanziert. Was für eine Ironie, dass bei dem Trump-Comeback nun ausgerechnet die mit Geldern aus Saudi Arabien finanzierte LIV zum Zuge kommt. Staatsmann Trump galt ja immer als sehr aufgeschlossen, was den Nahen Osten angeht.
Doch zurück zu Kaymer, denn in seinem Interview steckte beim genauen Hinhören noch mehr. Eher vernachlässigen wollen wir den salomonischen Aufruf, ob sich nicht „einfach mal alle an einen Tisch setzen“ könnten. Dahinter lässt sich der Vorwurf an die etablierten Touren erahnen, einem neuen Player gegenüber nicht aufgeschlossen zu sein und zu lange in einer alten Welt zu verharren. Doch natürlich wissen wir, dass hinter der Ablehnung kein Konservativismus steht, sondern handfeste wirtschaftliche Interessen: PGA und DP World Tour sehen ihre Vormachtstellung auf dem Weltmarkt in Gefahr.
Die ökonomischen Aspekte sind in Kaymers O-Ton dann auch deutlich interessanter: So scheint sich der einst beste Golfer Deutschlands und der Welt mittlerweile eingestanden zu haben, dass es sportlich für die anspruchsvollen PGA Events nicht mehr ganz reicht. Er sei in diesem Jahr „einfach nicht in die Turniere reingekommen“, so drückt sich Kaymer aus. Und natürlich muss man Verständnis haben, dass ein Profigolfer irgendwann eine Gewinn-Verlust-Rechnung aufmacht, sportlich wie finanziell: Lohnt es sich auf lange Sicht, für die PGA Tour zu melden, die kostspielige notwendige Vorbereitung zu stemmen, einen Hauptwohnsitz in den USA zu unterhalten, wenn man am Ende keine Chancen auf die dicken Fleischtöpfe hat und in der LIV mit einem deutlich entschleunigten Kalender am Ende mehr verdienen wird?
Bei der Frage nach dem Bankkonto vereint die LIV Golf Invitational Series verschiedenste Schicksale unter ihrem neu gedeckten Dach. Da steht auf der einen Seite ein Dustin Johnson. Seine Zusage an die LIV war der große Dammbruch. Schon vorher hatte die Saudi League mit der Bestätigung von Phil Mickelson auf sich aufmerksam machen können, doch Dustin Johnson war nochmal eine neue Dimension. Denn auch wenn Phil Mickelson eine lebende Legende ist, liegt seine beste Zeit doch schon einige Jahre zurück. Johnson hingegen befand sich anno 2022 auf dem Höhepunkt seiner Karriere, als er aus heiterem Himmel seine Teilnahme an der LIV bekanntgab.
Ein kleines Schmunzeln konnte man sich nicht verkneifen, als Johnson auf die Frage, warum er sich nach früheren Treuebekenntnissen und nach etwa 74 Millionen US-Dollar allein an Preisgeldern nun doch von der PGA Tour abwende, erklärte, er sei natürlich der PGA Tour sehr dankbar aber er müsse nun tun, was für ihn und seine Familie die beste Entscheidung sei. Ob die College-Fonds für Johnsons beiden Söhne noch nicht gesichert waren, kann jedenfalls bezweifelt werden. Und ob es vor diesem Hintergrund nachvollziehbar ist, seine Teilnahmen an den traditionsreichsten Turnieren der Welt, Einträge in die Geschichtsbücher des Golfsports und den Wettbewerb mit der absoluten Weltspitze gegen ein vermeintliches Retorten-Event einzutauschen, wenn man noch viele gute Jahre vor sich hat? Muss jeder selbst wissen.
Am anderen Ende der Skala befindet sich ein Spieler wie der Australier Kevin Yuan. Der 25-Jährige hatte es bislang nicht einmal unter die Top 1.000 der Golf-Weltrangliste geschafft. Aufgrund von finanzieller Knappheit habe er darüber nachgedacht, seine Profikarriere zu beenden, als er sich dann bei einem Event in China für die LIV Golf Invitational Series qualifizierte. Beim ersten Event in London nahm er dann auf einen Schlag 146.000 US-Dollar mit nach Hause, obwohl er in der Einzelwertung lediglich Platz 37 von 48 belegte. Dass hier eine einmalige Chance genutzt wurde, steht außer Frage. Der Südafrikaner Charl Schwartzel hat zwar in seiner Karriere schon etwas mehr verdient – gewann er doch unter anderem das Masters 2011 – doch auch seine besten Tage liegen etwas länger zurück. Schwartzel siegte in London und kassierte 4 Millionen US-Dollar.
Leser wünschen sich LIV-Berichterstattung
Und dann ist da natürlich noch die Situation mit den Menschenrechten. Ein Thema, bei dem sich schon viele Sportler und Sportfunktionäre die Finger verbrannt haben. Man denke etwa an die Fußball-WM in Katar, die unglückliche Figur die der DFB bei seiner allmählichen Distanzierung von dem Unrechtsstaat macht oder Profikicker Thomas Müller, der in aller Unbeholfenheit erklärte, es gebe schließlich auch in Deutschland Menschenrechtsverletzungen. Auf der anderen Seite stehen jene, die daran erinnern, dass der Sport der ganzen Welt gehöre und eben nicht bloß der westlichen. Aber wann zieht man die Grenze? Wie stark muss ein Land wir Saudi Arabien eingebunden sein, damit es für Medien mit einem freiheitlichen Wertekatalog unumgänglich wird, eine Turnierreihe wie die LIV Golf Invitational Series zwangsläufig abzulehnen? Greg Norman, der kreative Kopf hinter der LIV, betonte: „Sie sind nicht meine Bosse. Wir sind unabhängig“ und stellte klar: „Ich äußere mich nicht zu Saudi Arabien“. Die massive Präsenz von saudischen Würdenträgern bei allen bisherigen LIV-Veranstaltungen konterkarieren die Einlassungen von Greg Norman zur Unabhängigkeit doch etwas.
Wir von 123golfsport.de haben unsere Leser befragt, ob wir über die LIV ebenso intensiv berichten sollten, wie über die PGA Tour. Das Ergebnis ist eindeutig: Drei Viertel wünschen sich entsprechende LIV-Berichterstattung auf unserem Online-Magazin. Wir werden also einen Weg finden, damit umzugehen.
Fotos: Getty Images